Warum und wie wir entstanden sind

Warum und wie wir entstanden sind

Über eine halbe Millionen Juden und Jüdinnen in Deutschland wurden durch den NS-Terror aus einem bis dahin gemeinsamen Leben verdrängt. Wer übernahm ihren Arbeitsplatz, ihr Geschäft, ihre Praxis, ihren Besitz? Wie kamen die nicht-jüdischen Eltern, Großeltern und andere Verwandte der nach dem Krieg Geborenen zwischen 1933 und 1945 an ihr Grundstück, ihr Haus oder an ihre Wohnung, an ihre Möbel oder ihre Kunstwerke? Wem gehörten diese Dinge vorher? Und müsste nicht jede*r Deutsche sich fragen, ob es in seiner oder ihrer eigenen Familie indirekte Formen der Bereicherung und Vorteilsnahme gab? Wird das Unrecht nicht fortgesetzt, wenn man*frau sich in einem solchen Erbe einrichtet oder es unhinterfragt annimmt? Wie wollen, sollen, können sich Nachgeborene zu der biographischen Verstrickung vieler Familien verhalten, möglicherweise auch der eigenen?

Tatsache ist, dass in der NS-Zeit viele Einzelne und die ganze »deutsche Volksgemeinschaft« direkt und indirekt, willentlich und strukturell von der Entrechtung, Enteignung, Vertreibung und Ermordung der Juden Europas profitiert haben. Sei es dadurch, dass das NS-Regime auf Kosten der jüdischen Bürger*innen seine Staatsfinanzen saniert hat, sei es dadurch, dass systemkonforme Deutsche berufliche Positionen einnahmen, die zuvor Juden und Jüdinnen inne hatten, sei es dadurch, dass jüdische Firmen zu Schleuderpreisen „arisiert” wurden, dass die Wertgegenstände und Wohnungseinrichtungen der Vertriebenen und Deportierten über den Handel verkauft oder auf Auktionen öffentlich versteigert wurden oder dass Raubgut – von Gemälden, über Möbel bis zu Geschirr – auf anderen dubiosen Wegen in deutsche Haushalte gelangte.

Bei vielen Erbstücken, bei Funden in Kellern oder auf Flohmärkten ist die Herkunft nicht nachvollziehbar. Dass sich aber auch heute noch in zahlreichen Haushalten solche Gegenstände befinden, ist wahrscheinlich. Ein Beispiel: Allein 1942 und 1943 wurden 45 Schiffsladungen mit 27.227 Tonnen „Judengut“ – wie es im Nazi-Jargon hieß – von Holland nach Hamburg transportiert. Wie die damaligen Auktionslisten zeigen, haben mindestens 100.000 Hamburger zugegriffen und diese Gegenstände – Möbel, Geschirr, Kleidungstücke  usw. – gekauft. Auch auf diese Weise hielt das Unrecht Einzug in unzählige deutsche Haushalte.

Die damals weit verbreitete und unspektakuläre Vorteilsnahme aus dem Völkermord ist von der Mehrheit der nichtjüdischen Deutschen vergessen, in den Familien wird meist nicht mehr darüber gesprochen. Juristisch ist sie zudem oft nicht zu fassen und die Geschädigten sich häufig unbekannt oder deren Erben nicht mehr auffindbar. Und doch wirkt diese Bereicherung weiter zum Vorteil der nächsten und übernächsten Generation. 

Anfang der 1990er Jahre hatte nun eine Gruppe jüdischer und nichtjüdischer Frauen die Idee, eine Stiftung für Menschen zu gründen, die unabhängig von Gesetzen und Fristen aus freien Stücken durch Spenden und Zustiftungen symbolisch einen Bruchteil von dieser unberechtigten Vorteilsnahme „zurückgeben“ wollen – daher der Name unserer Stiftung. 

Foto: Uwe Steinert

Auslöser der Idee war eine Erbschaft. Die Berlinerin Hilde Schramm, die von ihrem Vater, dem »Architekten Hitlers«, Albert Speer, drei Gemälde geerbt hatte, vermutete, dass sie jüdischen Familien geraubt worden waren und wollte ein Erbe, dem Unrecht anhaftete, nicht annehmen. Da sie trotz intensiver Recherche die ursprünglichen Besitzer*innen der Bilder nicht ausfindig machen konnte, verkaufte sie die Bilder und stiftete den Erlös als Gründungskapital für »ZURÜCKGEBEN«. Somit konnte die Stiftung 1994 gegründet werden. Die vier nichtjüdischen Gründerinnen, die alle aus der Frauenbewegung kamen, entschieden sich dabei bewusst, Frauen zu fördern. Vor der Stiftungsgründung hatte eine Intitiativgruppe aus jüdischen und nicht-jüdischen Frauen gemeinsam mit ihnen das Konzept der Stiftung sowie dessen Satzung erarbeitet.

Heute, ein Vierteljahrhundert später, in einer Zeit, in der sowohl die meisten Täter als auch ihre Opfer nicht mehr leben und die lange gesellschaftliche Verdrängung der Beraubung die meisten Spuren verwischt hat, appellieren wir auch an die Nachgeborenen, in Form von Spenden etwas »zurückzugeben«, auch ohne selbst schuldig geworden zu sein, auch ohne eigene familienbiografische Motive – vielmehr aus Einsicht und Verantwortung. Denn wir alle – ob jüdisch oder nicht – können uns für eine gemeinsame Zukunft verantwortlich verhalten durch die Unterstützung einer lebendigen und vielfältigen jüdischen Kultur in Deutschland. In diesem Sinne engagieren sich heute bei »ZURÜCKGEBEN« nicht-jüdische und jüdische Frauen gemeinsam.